Fabian lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück und streckte sich lang. „Eigentlich geht es mir grad so richtig gut. Probleme haben nur die Kollegen vom Unternehmerstammtisch. Da habe ich es doch schon weit gebracht."

Es klopfte an der Tür „Du, Fabian, hast Du mal einen Moment für mich?" steckte seine Vertriebsleiterin Tina vorsichtig den Kopf ins Büro. Selbstverständlich bot Fabian seiner Führungskraft einen Stuhl am Besprechungstisch an, und setzte sich zu ihr. Sekundenspäter war von der ursprünglichen Zaghaftigkeit nichts mehr zu erkennen. Tina schilderte emotional und ausschweifend, wie unzufrieden sie mit den Führungsfähigkeiten von Lasse ist. Erst letztens hätte ihr die Auszubildende erzählt, dass Lasse sich keine Zeit nähme und außerdem auch sehr ruppig in seinen Anweisungen wäre. Nachdem sie – so Tina – sprichwörtlich von der Auszubildenden geweckt wurde, hat sie auch gleich schon mal Erkundigungen in der Marketingabteilung, die Lasse leitet, eingeholt und die anderen Kollegen befragt.

Tina redete sich so richtig in Rage. Fabian hörte weiterhin zu. Irgendwie wurde ihm bewusst, dass er nun eine Herausforderung hat. Würde er dieses Thema nicht schnellstens klären, dann wäre der mühsame Aufbau einer offenen und gesunden Führungskultur aus den vergangenen Monaten hin. Außerdem würde er in jedem Fall entweder Tina oder Lasse verlieren.


In diesem Moment erschien es Fabian plausibel Tina zu bitten das Gespräch mit Lasse zu suchen. Am Nachmittag desselben Tages hörte er Gebrüll auf dem Flur… Türenknallen… Stille…
Kurze Zeit später klopfte es an der Tür des Chefzimmers…
Eine untypische Situation? Leider nein. In unseren Coachings hören wir häufig solche Schilderungen. In dieser kleinen Geschichte sind gleich mehrere Führungsthemen enthalten:

  1. Wann sollte ich als Chef zuhören und wann nicht
  2. Das Thema hinter dem Thema – Statusspiele
  3. Die Wut-Acht – oder „Das sowas von sowas kommt."
  4. Der Umgang mit Konflikten
  5. Feedback als Personalentwicklungsinstrument

Nach und nach werden wir in unseren Blog-Beiträgen diese und andere Themen vertiefen. Nun aber zurück zu Fabian.


Noch vor zwei Jahren hätte Fabian beide Mitarbeiter in sein Büro zitiert, um ihnen mitzuteilen, dass die Firma Nordküste GmbH kein Kindergarten ist, und er erwartet, dass das Thema bis abends vom Tisch ist. Heute ist er ruhig und versucht direkt zu ergründen, was das Problem hinter dem Problem ist.
Auch bei Tina lief in den letzten Wochen im Vertrieb nicht alles glatt. Nur warum biss sie sich jetzt grad an Lasse fest. Lasse hatte in den vergangenen Monaten eine hervorragende Entwicklung gemacht. Die von ihm besuchten Führungsseminare scheinen ihm nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für ihn ganz persönlich viel gebracht zu haben.


Lasse hat ihm in dem kurzen Gespräch nach der Eskalation auf dem Unternehmensflur gebeten noch einmal auf Tina einzuwirken. Es hat ihn enttäuscht, dass in seiner Abwesenheit Mitarbeiter in seinem Team befragt wurden, und das Thema so eine große Bühne bekommen hat. Außerdem versteht er nicht, warum Tina auf einmal so schroff zu ihm ist. Sie hat ihn regelrecht angeschrien.

Nun gehen wir mal davon aus, dass es sich im Fall von Tina und Lasse nicht um eine unerfüllte Liebe handelt. Was ist passiert?


Tina hatte bisher die Aufmerksamkeit durch ihren Chef. Sie hat Führungsverantwortung bekommen, und wird sogar als seine Nachfolgerin gehandelt. Währenddessen sie in den letzten Wochen nicht alle Vertriebserfolge nach Hause holen konnte, scheint bei Lasse alles zu gelingen. Selbst wenn in seiner Abteilung mal etwas schief geht, hat er gelernt die Ruhe zu bewahren und in seinem inneren Status stabil zu bleiben. Grundsätzlich ist durch das Führungstraining sein innerer Status gestiegen. Das haben auch die anderen Kollegen gemerkt.


Im Gegensatz zu Lasse musste Tina ein paar Tiefschläge hinnehmen. Die Misserfolge führten zu einem niedrigen inneren Status. Wenn man bisher nicht gelernt hat, wie man seinen eigenen inneren Status wieder hebt, scheint das Unterbewusstsein keinen anderen Ausweg zu kennen, als den direkten Kontrahenten im Status zu senken.

Diese Machtspiele finden in der Regel nicht bewusst statt. Als sich in dem Gespräch mit der Auszubildenden herausstellte, dass vermeintlich auch bei Lasse nicht alles rund lief, trieb die Neugierde Tina an, das genauer zu hinterfragen. Der unterbewusste Wunsch, dass sie nicht allein eine Pechsträhne hatte, ließ sie alle Hinweise der Auszubildenden genau in diese Richtung interpretieren. Sie gab der Auszubildenden eine sehr große Bühne.

Das bedeutet, dass es hilfreich gewesen wäre, wenn sich Tina ihrer eigenen Gefühle und Emotionen bewusst gewesen wäre, und diese hätte regulieren können. Oftmals können wir leider nur die oben liegende Emotion greifen. Das sind dann z. B. Frust, Ärger, Enttäuschung etc.. Wenn wir erkennen können, welche Emotion sich dahinter verbirgt, wird vieles eindeutiger. Das können dann z. B. Neid, Angst, Scharm, Ohnmacht o. ä. sein.

Wäre Tina in ihrem inneren Status hoch geblieben, hätte sie viel mehr Handlungsoptionen gehabt. Nicht nur, dass sie das Gespräch mit der Auszubildenden in eine positive Richtung hätte lenken können, sie hätte vielleicht auch Lasse einen freundschaftlichen Tipp geben können. Sie hätte jedenfalls Fabian erst gar nicht informiert.


Wenn auch aus einer völlig anderen Motivation heraus, hat Fabian Tina mit dem Zuhören eine Bühne geboten, die an dieser Stelle unnötig war. Vielmehr hätte er durch Fragen Tina zur Selbstreflexion helfen können. Nicht jede Führungskraft ist auch Coach? Ja, das ist richtig, und das sollte auch aufgrund der unterschiedlichen Rollen so bleiben. Dennoch sind einige Skills hilfreich, um nicht gleich einen Coach oder Unternehmensberater rufen zu müssen.

Jede Führungskraft hat schon einmal gehört, wie wichtig es ist, einem Mitarbeiter zuzuhören. Aus unserer Sicht ist es eine der wichtigsten Fähigkeiten in der Führung. Die zweite ist es, die richtigen Fragen zu stellen.

Das Entgegennehmen von Informationen aus zweiter Hand sollte zu Gunsten einer guten Unternehmenskultur in jedem Fall ausbleiben.


Als Fabian die Situation erfasst hatte überrollten ihn kurz seine eigenen Emotionen. Ärger stieg in ihm auf, dass er das nicht alles früher erkannt hat. Dann fing er breit an zu grinsen und sagte sich selbst, dass er mit diesen Rückschlüssen nun auch wusste, was zu tun ist.

Er bat Tina und Lasse sich noch am Abend desselben Tages ein wenig Zeit zu nehmen. Das Gespräch fing er an mit „Ich möchte mich bei Euch beiden entschuldigen." Beide waren irritiert. In wenigen Worten schilderte er, was er aus seiner Sicht falsch gemacht hatte. Tina wurde unruhig: „Wenn Du mir irrtümlich eine Bühne gegeben hast, bedeutet das ja auch, dass es ungünstig war, dass ich unserer Auszubildenden eine Bühne gegeben habe."


„Das ist wohl so", sagte Fabian sanft. „Du wirst Deine Gründe dafür gehabt haben."


Nach einem langen Gespräch mit vielen unterschiedlichen Gefühlen, Weinen und Lachen zogen die drei Ihr Fazit: Manchmal ist es eben auch gut, wenn der Chef nicht zuhören will. Und da sie für sich erkannten, wie leicht es ist, in eine solche Falle zu tappen, sagten sie sich gegenseitige Unterstützung zu.