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Ich habe es nicht gemerkt...

Vor kurzem hatten wir ein Gespräch mit einem Unternehmer zum Thema Führungskräfteentwicklung. Eine unserer Interviewfragen ist regelmäßig: „Gab es in ihrem Unternehmen schon Fälle von Burnout?"

Marc und ich spürten sofort, dass die Stimmung kippte. Nur was war die Ursache? Wir wussten ja, dass es sich hier um ein sehr gut geführtes Unternehmen handelt. Fühlte er sich angegriffen? Vermutete er in dieser einfachen Frage eine Anschuldigung? Stille. Unendliche Stille. Plötzlich hob er den Kopf und guckte uns unvermittelt an. Wir konnten sehen, dass er Tränen unterdrücken musste.

„Ich habe es nicht gemerkt… Eines Tages bekamen wir eine Krankmeldung. Wir vermuteten eine Erkältung. Schließlich steuerten wir – es war Herbst – auf die Erkältungszeit zu." erklärte er mit zittriger Stimme. „Als wir die Nachricht erhielten, dass unsere Mitarbeiterin für mehrere Wochen ausfällt, weil sie in einer Klinik für Burnout-Patienten behandelt werden musste, fielen wir aus allen Wolken."

Wir waren überrascht. Vor uns saß ein Unternehmer, der noch vor wenigen Sekunden den Eindruck vermittelt hatte, dass er alles im Griff hat. Das Unternehmen wirkte auf uns gut strukturiert und organisiert. Die Mitarbeiter, denen wir bis zum Besprechungsraum begegnet sind, wirkten fröhlich. Der Chef strahlte eine gewisse Autorität und dennoch lag in den gutmütigen Augen so viel Verständnis und Wertschätzung für die Menschen in seinem Unternehmen. Hier durften die Mitarbeiter Menschen sein. Im weiteren Verlauf des Gespräches stießen wir gleich auf mehrere Themenfelder:

1. Früherkennung von Burnout

2. Was ist Burnout

3. Welche Möglichkeiten habe ich als Chef

4. Psychische Gefährdungsbeurteilungen

5. Burnout Prävention

In unseren nächsten Blog-Beiträgen werden wir uns genau um diese Themen kümmern. Vorab wollen wir aber noch einmal einen Überblick geben, warum dieses Thema für uns in Unternehmen so bedeutsam ist, und welches Risiko insbesondere in dieser durch Covid-19 geprägten Zeit droht.

Die in Statista veröffentlichten Zahlen von Rainer Radtke im Januar 2022 zeigen eine Steigerung der Arbeitsunfähigkeitsfälle aufgrund psychischer Erkrankungen von 2010 auf 2019 um 30,6 %. Mittlerweile gehen 17,1 % aller Arbeitsunfähigkeitsdiagnosen auf psychische Erkrankungen zurück. Eine Abgrenzung von Burnout zu anderen Diagnosen ist schon aufgrund des Mangels eines eigenen ICD(1)-10-Codes nicht eindeutig möglich. Mit der Einführung der ICD-11 (seit dem 1.1.2022) wird Burnout erstmals separat erfasst.

Betrachtet man nun mal die Erkrankungen, die zur Erwerbsunfähigkeit führen, wird es noch dramatischer. Die Ursache für Erwerbsunfähigkeit liegt zu 43,2 % in psychischen Erkrankungen, währenddessen Krebs und andere Tumore nur für 13,5 % die Ursache für eine Erwerbsunfähigkeit sind.(2)

Die Schwierigkeiten der Differentialdiagnostik betreffen uns leider auch in unseren Unternehmen. Denn häufig zeigen sich psychische Erkrankungen erstmal durch körperliche Symptome wie z. B. Rücken-, Kopf- oder Nackenschmerzen.

Zur Vermeidung der Ausweitung von Corona wurden Maßnahmen getroffen, die eine Früherkennung von Burnout noch deutlich schwerer machen. Der soziale Rückzug wurde sogar nun öffentlich gefordert.

Eine Frage, die auch unseren Kunden quälte, war „Hätte ich es verhindern können?". Wenn man die WHO (Weltgesundheitsorganisation) fragt, dann ist die Antwort eindeutig. Hier geht man davon aus, dass Burnout eine Folge von chronischem und ausschließlich arbeitsbedingtem Stress ist. Die Anerkennung von Burnout als Berufskrankheit scheint somit nur noch ein logischer nächster Schritt zu sein.

Die psychische Gefährdungsbeurteilung ist bereits seit Ende 2013 für Arbeitgeber auf Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes Pflicht. Wie so oft, wenn man solche Themen per Gesetz regeln will, erkennt man die Unannehmlichkeiten schneller als die Chancen. In vielen Unternehmen wird daher die psychische Gefährdungsbeurteilung emotionslos erledigt. Sollte sich tatsächlich ergeben, dass Burnout zukünftig als Berufserkrankung anerkannt wird, ist zwar der haftungsrechtliche Part durch die psychische Gefährdungsbeurteilung erfüllt, der Arbeitnehmer aber noch immer krank.

Wussten Sie, dass insbesondere Frauen nach einem Burnout den Arbeitgeber oder sogar den Beruf wechseln? Im Zuge des Fachkräftemangels ist es also umso erforderlicher frühzeitig für gesunde Mitarbeiter in gesunden Unternehmen zu sorgen. Wer hat nun eigentlich die Verantwortung für ein Burnout? Kann man das wirklich dem Arbeitgeber auferlegen? Aus unserer perspektive als Coaches wird es ein schwieriges Unterfangen. Schauen wir mal auf die Gesundheitsberufe: der arbeitsbedingte Stress entsteht meistens durch die Diskrepanz aus Patientenerwartung und Gesundheitssystem. Oder werfen wir einen Blick in den Bereich Schule: Auch hier haben die Arbeitgeber kaum einen direkten Einfluss auf den Stress, der in der Schule entsteht. Viele anderen Berufe schließen sich aufgrund des Fachkräftemangels an. Arbeitgeber und somit Unternehmer haben damit die Verpflichtung sich um die Bereiche zu kümmern, die in ihrem Einflussbereich liegen. Insbesondere Geschäftsführer in kleinen und kleinsten mittelständischen Unternehmen werden aufgrund der Arbeitsbelastung selbst mit in die Fachkraft- und Managementaufgaben förmlich eingesogen. Ihnen fehlt dann die Zeit, um am Unternehmen zu arbeiten.

Die Verantwortung der Arbeitgeber liegt also in erster Linie darin, sich die Zeit zu verschaffen, um die organisatorischen, strukturellen und strategischen Aufgaben so zu erledigen, dass die äußeren Stressoren im Unternehmen, die auf einen Arbeitnehmer einwirken, minimiert werden können.

Worauf der Arbeitgeber selbst keinen unmittelbaren Einfluss hat, ist wie ein Arbeitnehmer mit Stressoren umgeht. Und da gibt es noch einen weiteren Aspekt, den der Arbeitgeber nicht steuern kann - die inneren Stressoren des Mitarbeiters.

Unser Fazit ist, dass wir uns keinesfalls in Schuldzuweisungen verstricken sollten. Vielmehr sollten wir uns gemeinsam auf den Weg machen, psychische Erkrankungen zu vermeiden oder wenigstens zu vermindern. Denn wie wir in dem Beispiel oben gesehen haben, betrifft es die Unternehmer und Führungskräfte nicht nur in Ressourcen wie Zeit und Geld sondern vor allem auch emotional.

(1) ICD = International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (Internationale Klassifikation der Krankheiten
(2) Statista / Ursachen für Erwerbsunfähigkeit

Wann Zuhören als Chef keine Option ist
 

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